Artenvielfalt im Weinberg

Teil 3. Agrarökosystem oder Lebensgemeinschaft?

Seit den Anfängen des Weinbaus, also seit etwa 8000 Jahren, greift der Mensch in die Natur ein, um das Ertragspotential des Standortes zu seinen Gunsten zu nutzen. Die natürlichen Lebensgemeinschaften wurden dadurch beseitigt und durch Kulturpflanzen – wie die Weinrebe – ersetzt. Diese einseitige Nutzung des Standortes bleibt allerdings nicht ohne negative Folgen… …nur wenige Pflanzenarten bis hin zur Monokultur, geringe Zahl an Tierarten durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, einseitige Nährstoffversorgung durch mineralischen Dünger und Störung der Selbstregulation. Das führt dazu, dass der Mensch permanent die Steuerfunktion übernehmen muss. Daher macht es Sinn, dieses System zu verlassen und den Weinberg zu einer Lebensgemeinschaft, einem natürlichen Ökosystem, zu entwickeln und umzugestalten. Bei der Dauerkultur Weinrebe bietet sich dieser Weg an.

Natürliches Ökosystem

Der Name sagt es bereits: das natürliche Ökosystem bedeutet ein lebendiges System, eine Lebensgemeinschaft, die sich selbst reguliert, die vielfältig ist und lange existiert. Diese Fähigkeit zur Selbstregulierung und Selbsterneuerung gewährleistet hohe Widerstandsfähigkeit. Trotzdem können auch natürliche Ökosysteme Schaden erleiden. Dies wird in unseren Wäldern durch die anhaltende Trockenheit, bedingt durch den Klimawandel, sehr deutlich.

Zu einer Lebensgemeinschaft gehören Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen und der unbelebte Lebensraum. Das folgende Beispiel soll einen Einblick in das System geben.

Wo sind denn nun, im April, die vielen Blätter hin, die im Herbst den Boden bedeckten? Haben sie sich aufgelöst? Nein, sie wurden vertilgt. Und zwar von Regenwürmern, Asseln, Schnecken, Ameisen, Milben, Einzellern und vielen anderen Kleinlebewesen. Kleinteile wurden von Bakterien und Pilzen zersetzt. Aus den komplexen Molekülen des Blattes wurden wieder die einfachen Moleküle, aus denen die Rebe das Blatt aufbaut. Ein Kreislaufsystem, das einerseits recht kompliziert ist, aber andererseits regelmäßig – auch ohne das Zutun des Menschen – abläuft. Stoffliche Kreislaufprozesse und Energiefluss sind wichtige Elemente eines natürlichen Ökosystems. Je älter und artenreicher eine Lebensgemeinschaft ist, desto stabiler wird sie und ihre Fähigkeit zur Selbstregulierung und Selbsterneuerung wächst.

Warum brauchen wir Artenvielfalt im Weinberg?

Pflanzen brauchen Wasser. Wo in den Sommermonaten genügend Niederschlag fällt, mindestens 450 mm, dort ist häufig die Fläche zwischen den Reben begrünt. Bei genauerer Analyse entpuppt sich diese Begrünung allerdings in den meisten Fällen als Begrasung mit zwei oder drei Hauptarten. Eine Begrasung sieht sehr ordentlich aus, ist leicht zu pflegen und vermindert in Hanglagen die Erosion. Auch erleichtert sie die Bewirtschaftung und mildert den Bodendruck. All dies ist durchaus erwünscht. Doch eine artenreiche Begrünung bringt einen wesentlichen Vorteil, den eine Begrasung nicht leisten kann: Sie mildert die Nachteile der Monokultur Rebe und stabilisiert das


Bild: Wilde Tulpe 
Die Wilde Tulpe steht auf der Liste der gefährdeten Arten. Ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammend, gibt es die Wilde Tulpe nur noch an wenigen Standorten in Deutschland. Im rheinhessischen Weinort Gau-Odernheim führt ein Tulpenwanderweg durch die im April gelb gefärbten Weinberge. 
Mehr Informationen in dem Buch >>> Blühende Vielfalt im Weinberg <<<

Ökosystem Weinberg. Das heißt, dass die natürlichen Regelungskräfte einer Naturgemeinschaft für das Agrarsystem Weinberg nutzbar werden.

Artenvielfalt ist Teil der Lebensgemeinschaft. Artenreiche Bestände schaffen Lebensräume für Tiere. Je größer die Zahl der Pflanzenarten, desto größer die Zahl der Tierarten. Wie viele Untersuchungen gezeigt haben, steigt mit zunehmender Artenzahl auch die Zahl der Nützlinge. Eine stabile Nützlingspopulation (Raubmilben, Raubwanzen, Käfer u.v.a.) kontrolliert die Massenvermehrung von Schädlingen. Dadurch sind Einsparungen, sogar bis hin zum völligen Verzicht, beim chemischen Pflanzenschutz möglich. Das spart nicht nur Kosten, sondern schont ebenso die Umwelt. Eine artenreiche Begrünung mit Leguminosen und krautigen Pflanzen verbessert auch die Nährstoffversorgung der Rebe. Leguminosen stellen Stickstoff zur Verfügung, krautige Pflanzen bringen Sonnenenergie in Form von Biomasse in den Weinberg. Eine sehr umweltschonende und nahezu kostenfreie Nährstoffzufuhr. Eine artenreiche Pflanzendecke verbessert den Wasserhaushalt nachhaltig und hat nicht solche Nebenwirkungen wie eine verdichtete Grasdecke, die Weine durch die Ausprägung von untypischen Alterungsnoten bereits nach einem Jahr wertlos macht.

Artenvielfalt ist Teil der Lebensgemeinschaft.

Was bedeutet Artenvielfalt für den Boden? Das behandeln wir in unserem nächsten Beitrag im Mai.

Teil 4: Lebendiger Weinbergsboden.